Direkt zum Inhalt

Newsletter abonnieren

Erhalten Sie aktuelle Informationen und exklusive Angebote für einen erfolgreichen Praxisalltag.

Arzt mit mehreren Medikamenten in den Händen Arzt mit mehreren Medikamenten in den Händen Arzt mit mehreren Medikamenten in den Händen

Interview: Tiefere Preise haben Auswirkungen auf die Verfügbarkeit

Aktuelles 10. April 2024

Christian Henseler entscheidet darüber, welche Medikamente bei Zur Rose in welchen Mengen auf Lager sind. Der Druck auf das Pricing, wie es die Massnahmen des Bundes zur Senkung der Gesundheitskosten vorsehen, wirkt sich auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln aus, ist er überzeugt.

Christian Henseler, Leiter Strategischer Einkauf bei Zur Rose

Interview mit:
Christian Henseler, Leiter Strategischer Einkauf bei Zur Rose

Herr Henseler, Generika sind in der Schweiz noch immer rund doppelt so teuer wie im Ausland. Auch Biosimilars sind teurer und werden aus Sicht des Bundes zu wenig eingesetzt. Was sind die Gründe dafür?

Dass sie teurer sind, hat den ganz einfachen Grund, dass wir ein kleines Land sind und eine eigene Zulassungsbehörde haben. Das heisst, jedes Produkt, das in einem EU-Land zugelassen wird, ist in der gesamten Europäischen Union verkehrsfähig. Da steht auf der einen Seite ein 500-Millionen-Markt, den man mit einer einzigen Zulassung bedienen kann. Auf der anderen Seite gibt es die Schweiz, wo mit einer Zulassung lediglich ein Neun-Millionen-Markt bedient werden kann. Bei einem Patentablauf verteilt sich das Volumen des Originalpräparats auf das Original plus etwa sechs Generikaanbieter. Die Volumen der einzelnen Hersteller sinken – in einem kleinen Land wie der Schweiz auf ein besonders kleines Niveau. Es braucht hierzulande ein anderes Preisniveau, um die Kosten zu decken. Der Skaleneffekt, den man im Ausland hat, fehlt bei uns in der Schweiz. 

Der Bundesrat greift mit seinen neuesten Massnahmen in die Preisbildung von Generika- und Nachahmerpräparaten von Arzneimitteln mit chemischen Wirkstoffen ein. Weshalb gibt es bei der Preisabstandsregel Unterschiede zwischen Generika und Biosimilars?

Biosimilars müssen weniger günstig werden als Generika, weil ein Biosimilar in der Produktion und bei der Anmeldung viel komplexer ist als das Generikum. Der Hersteller darf dort mehr verdienen und muss auch mehr verdienen können. Er muss bei Biosimilars ein komplettes Dossier einreichen. Bei einem Generikum muss er das nicht, hier ist der Aufwand deutlich geringer. Dadurch ist auch die Marge richtigerweise kleiner, denn der Hersteller muss keinen Entwicklungs- und Forschungsaufwand betreiben. Er kann die Rezeptur nach 15 Jahren quasi übernehmen und hat nur noch die Herstellungskosten. 

Welche Strategie verfolgt man mit der Vergrösserung der Preisabstände zwischen Generika und Originalpräparaten? 

Dadurch, dass die Preisabstände grösser werden, werden die generischen Produkte günstiger. Man erhofft sich einen Spareffekt.

Eine Vergünstigung von Generika, das kann man ja nur begrüssen. 

Einerseits ja. Es gibt jedoch auch Risiken, die in Betracht gezogen werden müssen. Die Verfügbarkeit der Medikamente ist in den letzten zwei Jahren massiv zurückgegangen. Zu den besten Zeiten waren Medikamente zu 98,5 Prozent verfügbar. Anfang dieses Jahres waren wir gerade mal noch bei 88 Prozent. Das ist immens, wenn man ausrechnet, was dies an Folgekosten verursacht. Patientinnen und Patienten können ihre Therapie nicht starten. Sie kommen vielleicht vergebens in die Praxis bzw. ins Spital, weil man das Medikament bestellt hat, aber es nicht eingetroffen ist. Ärztinnen und Ärzte müssen die Medikation umstellen.

Was genau hat die Vergünstigung von Generika mit der Verfügbarkeit zu tun?

Lieferengpässe haben oft direkt mit dem Preisniveau zu tun. Wann kann sich ein Hersteller ein grosses Lager leisten? Wenn er eine vernünftige Marge auf den Produkten hat. Er mietet dann die entsprechenden Räumlichkeiten, in dem er Waren für ein halbes Jahr lagern kann. Werden nun die Margen kleiner, so kann er dieses Lager nicht füllen, weil er Gefahr läuft, zu viel zu bestellen und einen Teil wegwerfen zu müssen. Er kann sich die grosse Lieferung gar nicht mehr leisten und senkt seinen Lagerbestand. Reduzieren nun alle Hersteller ihre Bestände, passiert Folgendes: Wenn sich einer der Grossen verkalkuliert hat und out of stock geht, gehen seine Kunden zum nächsten Hersteller und fragen diesen, ob er noch Ware hat. Dieser Hersteller hat aber normal geplant. Wenn nun unerwartete Mehrverkäufe anfallen, geht es zwei Wochen und dieser Hersteller hat ebenfalls keine Ware mehr. Und so geht das weiter. Das heisst, wenn einer der Grossen fällt, dann ist das wie ein Dominoeffekt, der Markt kauft sich gegenseitig leer und das Produkt ist über eine gewisse Zeit nicht mehr verfügbar.
 

Das ist ein grundsätzliches Problem bei Medikamenten. Inwiefern betrifft es besonders den Markt der Generika? 

Normalerweise ist es so, dass bei einem Originalprodukt der Hersteller eine sehr gute Marge hat. Er hat einen kontinuierlichen Absatz. Es gibt keine Konkurrenz, es gibt einfach sein Produkt. Er weiss aus den Zahlen relativ gut, wie viel er braucht. Dann weiss er, dass er noch ein Wachstum von zehn Prozent hat. Das kann er wunderbar linear aufrechnen. Er kann sich immer schön bevorraten und weiss, was auf ihn zukommt. Wenn man sich aber in einem Markt wie demjenigen der Generika befindet, wo die Teilnehmer ineinander verschachtelt und voneinander abhängig sind, dann macht der erste, der fällt, weil er sich verrechnet hat, allen anderen, die richtig gerechnet haben, einen Strich durch die Rechnung. Plötzlich steigt der Bedarf bei allen anderen unvorhergesehen stark an, und die Marktteilnehmer kaufen sich gegenseitig leer. Hinzu kommt der Hamstereffekt. Der Markt heizt sich künstlich auf. Alle versuchen, noch etwas zu ergattern – und letztlich bekommt keiner mehr etwas.
 

Inwiefern betrifft das Problem die Schweiz? Machen Hersteller einen Unterschied zwischen verschiedenen Ländern?

Hersteller teilen Länder in A, B und C ein. Ein A-Land hat ein hohes Volumen und ein gutes Preisniveau. Dieses bedient ein Hersteller immer zuerst. Ein B-Land hat entweder ein gutes Volumen oder ein gutes Preisniveau. Das bedient er mit zweiter Priorität. Und ein C-Land hat weder ein gutes Volumen noch ein gutes Pricing. Dieses bedient er nicht oder erst am Schluss. Die Schweiz ist ein B-Land. Wir haben ein kleines Volumen, aber immer noch ein vernünftiges Preisniveau. Wenn die Preise bei uns zu weit hinuntergehen, könnte es passieren, dass wir zum C-Land werden. Mit unseren neun Millionen Einwohnern ist das Volumen sowieso immer klein. Wenn nun die Preise auch noch tief sind, dann werden wir in der Produktionskette hintenangestellt.

 

Die Folge:

«Es gibt keine Ware mehr. Oder nur noch verspätet. Und die Nichtverfügbarkeit wird immer schlimmer.»

Ist das ein realistisches Szenario, dass die Schweiz in die Kategorie der C-Länder fällt?

Ja, wenn man das zu stark forciert, dann droht die Schweiz zum C-Land zu werden. Die Tendenz, dass gewisse Medikamente nicht mehr verfügbar wären, würde sich sogar noch verstärken und Medikamente würden gar nicht mehr in die Schweiz eingeführt. Die Hersteller sagen sich: Bei diesem kleinen Markt, der grossen Konkurrenz an anderen Generikaherstellern und diesem tiefen Preis – das lohnt sich nicht mehr.

Eine bedrohliche Vorstellung.

Es ist halt einfach so: Alle schreien nach tieferen Preisen, aber wenn diese dann tatsächlich runter gehen, hat dies eben weitreichende Konsequenzen auf die Verfügbarkeit. Ein Beispiel, das die Problematik aufzeigt: Eine 30er-Packung Irfen-Schmerzmittel kostet ab Fabrik ca. 1.38 Franken. Hinter der Produktion dieses Medikaments stehen die Rohstofflieferanten, einer, der die Blisterfolie macht, einer, der das Plastik für die Blisterverpackung herstellt, da ist ein Verpackungshersteller, einer macht die Packungsbeilage, einer den Umkarton, die zweite Sekundärverpackung, einer muss das produzieren, lagern, transportieren, verzollen, in den Markt bringen, anmelden, vermarkten, vertreiben. Und das alles für 1.38 Franken. Nun kommt die Behörde und sagt, der Preis müsse auf 70 Rappen herunter. Dann sagt der Hersteller irgendwann, das können wir nicht mehr finanzieren und deshalb verkaufen wir das nun nicht mehr. Der tiefe Preis wird irgendwann einfach nicht mehr finanzierbar für den Hersteller. Schon bei 1.38 Franken verdient man hier kaum mehr Geld. 

Die tiefen Preise sind das eine. Wichtig ist es ja auch, dass möglichst viele Generika verkauft werden.  Inwiefern setzt sich Zur Rose für eine entsprechende Förderung ein?

Wir unterstützen Arztpraxen, indem wir in unserem Bestellungs-Tool bei den Originalprodukten die verfügbaren generischen Alternativen anzeigen. Häufig weiss ein Arzt ja gar nicht, wenn wieder ein Patent abgelaufen ist und ein Generikum verfügbar wäre. Das zeigen wir ihm im Zur Rose Studio an. Weitere Unterstützung bietet das Praxisapotheken-Team von Zur Rose. Ärztinnen und Ärzte können diesen Service bestellen und wir gehen dann die Praxisapotheke mit ihnen durch. Schauen, ob sie die richtigen Produkte an Lager haben. Wo sie Originale haben, die man substituieren könnte. So erhalten sie eine aufgeräumte und optimal ausgestattete Praxisapotheke, und sind in der Lage, möglichst viele kostengünstige Generika abzugeben sowie kurzfristige Notas zu überbrücken.

Zur Rose arbeitet auch mit Herstellern zusammen, um Generika zu fördern. Was tun Sie in diesem Bereich?

Wir sorgen dafür, dass wir einerseits ein attraktives Pricing haben. Und wir engagieren uns auch stark im Bereich der Verfügbarkeit. Wir haben von unseren Generika-Partnern ein erweitertes Angebot in einer erhöhten Reichweite bei uns auf Lager, um die Verfügbarkeit möglichst hochzuhalten. Dies sorgt dafür, dass Stockouts, wenn sie nicht allzu lange dauern, den Arzt im Idealfall gar nicht tangieren. Wir agieren mit unserem Lager als Puffer und können problematische Phasen überbrücken, damit Ärztinnen und Ärzte die Medikation der Patientinnen und Patienten möglichst nicht umstellen müssen.

Sie haben es erwähnt, Zur Rose informiert Arztpraxen regelmässig zum Thema Generika. Was können Ärztinnen und Ärzte tun, um sich der Förderung generischer Arzneimittel anzunehmen?

Im Grundsatz ist das Verständnis bei den Ärztinnen und Ärzten für Generika da. Ideal ist es, wenn sie sich über das Thema auch proaktiv informieren, sodass sie erfahren, wenn es zu Patentabläufen kommt und Patientinnen und Patienten dann auch wirklich umstellen. Sich die Zeit nehmen, Patientinnen und Patienten kurz zu erklären, warum sie gerne ein generisches Produkt einsetzen würden. Man muss erklären, dass es im Prinzip das gleiche Produkt ist, einfach viel günstiger. Gerade in der Schweiz haben viele Menschen immer noch das Gefühl: Günstiger kann nicht gleich gut sein. 

Welche Auswirkungen hat die Erhöhung des Selbstbehalts für Originalpräparate?

Die Erhöhung von 20 auf 40 Prozent schafft grundsätzlich den Anreiz, dass man als Patient  oder Patientin aufs Generikum wechselt oder dass der Hersteller den Preis des Originals heruntersetzt, damit es weiterhin gekauft wird. Diese Massnahme ist für Hersteller naheliegend, da ein Originalpräparat mit 40 Prozent Selbstbehalt in den meisten Fällen unverkäuflich sein dürfte.

Welche Auswirkungen hat die Massnahme auf den Markt?

Wenn es zu einem Patentablauf kommt, hat ein Hersteller drei Möglichkeiten. Er kann entscheiden, mit dem Produkt im Markt zu bleiben, muss dann aber natürlich mit dem Preis runter. Das kann bis zu 70 Prozent sein und das tut weh. Oder er lässt den Preis oben, weil das Produkt für ihn eine Cashcow ist. Er sagt sich: Solange es noch Umsatz bringt, nehme ich das Produkt noch mit, wenn es keinen Umsatz mehr macht, nehme ich es vom Markt. Die dritte Strategie ist, er lässt den Produktpreis des Originals oben, führt aber kurz vor dem Patentablauf selbst ein Generikum ein und bedient damit beide Märkte. Für diejenigen, die das Original wollen, habe ich es noch mit einem höheren Preis und einem höheren Selbstbehalt. Für diejenigen, die ein Generikum wollen, biete ich es zu einem tieferen Preis an. 

Wenn aus medizinischen Gründen die Verwendung eines Generikums nicht möglich ist, erhält der Patient oder die Patientin das Originalpaparat weiterhin zum Selbstbehalt von zehn Prozent. Es muss aber neu ein Nachweis erbracht werden. Was bedeutet das für Hausärztinnen und -ärzte?

Einfach «sic!» auf das Rezept schreiben reicht nicht mehr. Die Krankenkasse wird nachfragen. Als Arzt muss man beispielsweise nachweisen, dass man zweimal versucht hat, auf ein Generikum umzustellen und der Patient oder die Patientin es entweder nicht vertragen hat oder deren Gesundheitswerte sich verschlechtert haben. Dies bedeutet einen erheblichen Mehraufwand für den Arzt. Das wird er nur noch machen, wenn es wirklich sinnvoll ist. 
 

Der Generika-Markt ist im Wandel. Was erwarten Sie in der Zukunft für Änderungen? 

Was unmittelbar auf dem Tisch ist, ist das Thema wirkstoffgleiche Marge. Der wirtschaftliche Nachteil, ein Generikum zu verschreiben, soll beseitigt werden. Das macht eigentlich Sinn. Technisch und praktisch ist dies jedoch nicht ganz einfach umzusetzen. Des Weiteren sicher ein grosses Thema bleiben wird die Verfügbarkeit. Aktuell wird darüber diskutiert, ob man die bestehenden Pflichtlager für Medikamente massiv ausbauen sollte. Zum Dritten stehen in den nächsten Jahren relativ grosse Patentabläufe bevor. Das sind natürlich Chancen für die Anbieter von Generika und Biosimilars und hat sicher eine weitere kostendämpfende Wirkung im Gesundheitssystem.