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Medikamentenpackung, die mit Einnahmeinformationen beklebt wird. Medikamentenpackung, die mit Einnahmeinformationen beklebt wird. Medikamentenpackung, die mit Einnahmeinformationen beklebt wird.

«Ein zukunftstaugliches System»

Aktuelles 21. Juni 2024

Der Bundesrat hat entschieden, den Vertriebsanteil bei rezeptpflichtigen Medikamenten per 1. Juli 2024 anzupassen. Welche Auswirkungen hat die Änderung für Ärztinnen und Ärzte? Wir haben bei Sven Bradke, Geschäftsführer der Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA), nachgefragt. 
 

Sven Bradke, Geschäftsführer der Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA)

Interview mit:
Sven Bradke, Geschäftsführer der Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA)

Welches Ziel verfolgt der Bundesrat mit der Anpassung des Vertriebsanteils und geht die Massnahme Ihres Erachtens in die richtige Richtung? 

Ja, das neue Abgeltungssystem geht in die richtige Richtung. Es reduziert die Anzahl Preisklassen, es hat einen tieferen Prozentzuschlag sowie eine höhere Pauschale für die teuersten Medikamente, es verringert Fehlanreize und es senkt die bisherigen Quersubventionierungen von teureren zu günstigeren Arzneimitteln. Das sind wichtige strukturelle Veränderungen. Letztlich ging es dem Bundesrat aber darum, Einsparungen auch beim Vertriebsanteil zu erzielen sowie Generika zielgerichteter zu fördern. Im Vergleich zu den ehemaligen Vorstellungen sind die jetzt vorgesehenen 60 Millionen Franken über alle Kanäle hinweg angemessen und fair verteilt.

Sie vertreten als Geschäftsführer der APA die Interessen der selbstdispensierenden Ärzteschaft. Welche Auswirkungen hat der Entscheid Ihres Erachtens auf die Ärzteschaft? 

Ich sehe drei wichtige Auswirkungen: Erstens, wir haben nach jahrelangem politischem Ringen eine neue rechtliche Grundlage eines Abgeltungssystems, das ab dem 1. Juli 2024 zur Anwendung gelangt. Wir können uns somit wieder auf andere wichtige Themen fokussieren. Zweitens, die Einsparungen konnten in Grenzen gehalten und fair auf alle Abgabekanäle verteilt werden. Wir haben von der Struktur her drittens ein zukunftstaugliches System, das Fehlanreize und Quersubventionierungen entsprechend abbaut. Selbstredend muss das System überwacht sowie gegebenenfalls auch wieder angepasst werden. 

Was bedeutet es für die Selbstdispensation allgemein? 

Unser mittlerweile 50-jähriger Einsatz zugunsten der Selbstdispensation sorgte dafür, dass diese rechtlich zulässig, im Heilmittelgesetz fest verankert sowie politisch und ökonomisch anerkannt ist. Mit dem neuen Vertriebsanteil gilt die Selbstdispensation als anerkannte Dienstleitung zugunsten der Patientinnen und Patienten, die über alle Abgabekanäle hinweg gleich vergütet wird.

Welche Massnahmen sollten Ärzte nun treffen? Wie können sich Ärztinnen und Ärzte optimal auf die Anpassung vorbereiten? Was gilt es zu berücksichtigen? 

Es gilt, die neuen Preise zeitgerecht verfügbar zu haben, so dass ab dem 1. Juli 2024 eine korrekte Abrechnung stattfindet.

Originale werden mit der Anpassung weiterhin teurer sein als Generika, die Vertriebsanteile aber gleich. Ärzte müssen ihre Patienten ab Inkrafttreten darüber informieren, welche Originalpräparate welche Selbstbehalte auslösen. Ist das eine realistische Anforderung? 

Durchaus, eine solche Kommunikation gehört zu einer guten Arzneimittelabgabe sowie zur Generikaförderung. Ansonsten finden die Diskussionen zu einem späteren Zeitpunkt statt, wenn die mittlerweile erhöhten Selbstbehalte eingefordert werden.

Die APA setzt sich für eine patientenfreundliche Arzneimittelversorgung sowie einen besseren Zugang zu günstigen Arzneimitteln ein. Inwiefern ist der Beschluss des Bundesrates für Patientinnen und Patienten ein Gewinn? 

Rund zwei Drittel aller Arzneimittel werden günstiger, bedeutende Kosteneinsparungen finden statt, weitere sind in den Folgejahren zu erwarten und Generika werden gezielt gefördert. 

Es geht bei der Anpassung in erster Linie um eine Senkung der Kosten. Können die Massnahmen ohne Einbussen bei der Qualität der Medikamentenversorgung erfolgen? Oder besteht das Risiko, dass sich Lieferengpässe verschärfen und einzelne Therapien nicht mehr umgesetzt werden können? 

Die Liefer- und Versorgungsengpässe von rund 1000 Medikamenten sind aus anderen Gründen entstanden. Sie könnten sich aber vergrössern, wenn die staatlichen Preisfestsetzungen zu tief erfolgen. Denn der kleine Markt Schweiz mit seiner eigenen Zulassungsbehörde ist für gewisse Hersteller nur bedingt interessant.

Durch die Förderung der Abgabe kostengünstigerer Generika werden sofortige Einsparungen im Rahmen von 60 Millionen Franken jährlich erwartet. Sind diese Schätzungen Ihres Erachtens realistisch? 

Es sind verschiedene Faktoren, die für diese Einsparungen sorgen dürften. Einerseits die neue Struktur, andererseits aber auch der identische Vertriebsanteil für wirkstoffgleiche Arzneimittel, unabhängig davon, ob es sich um ein Original oder um ein Generikum handelt.

Ursprünglich standen grössere Summen im Raum, die eingespart werden sollen. Bundesrat Alain Berset definierte dann aber neue, tiefere Eckwerte. Waren die ursprünglichen Sparziele zu hoch angesetzt? 

Absolut, sie waren in jeder Beziehung unrealistisch und unannehmbar. Auch der nun vereinbarte Kompromissvorschlag fordert von den Leistungserbringern noch viel ab. Die damaligen Werte, insbesondere für den Kanal der Selbstdispensation, waren jedoch indiskutabel.

Sie haben bei den Verhandlungen die Interessen der selbstdispensierenden Ärzteschaft vertreten. Aus welchen Gründen hat sich die Einführung des neuen Abgeltungsmodell so lange verzögert? Und welches waren die grössten Herausforderungen am runden Tisch mit den weiteren Stakeholdern? 

Allein schon der Weg bis zum runden Tisch war sehr lang. Alsdann lagen verschiedene Modelle vor, die aus unterschiedlichen Gründen nicht weiterverfolgt wurden. Der Kompromissvorschlag wurde im Herbst 2022 fertig beraten, nach politischen und medialen Interventionen einzelner Akteure aber erst ein Jahr später vom Bundesrat verabschiedet. Zu bedenken gilt es, dass die runden Tische freiwillig waren. Das Departement und der Bundesrat hätten auch autonom entscheiden können. Über diese Kompetenz hätten die Behörden zumindest verfügt. Nun ist es aber ein breit getragener Kompromiss mit Vor- und Nachteilen.

Zur Stärkung und Weiterentwicklung der Selbstdispensation hat Zur Rose vor über sechs Jahren den SD-Rappen lanciert. Mit dem SD-Rappen unterstützen Ärzte den SD-Fonds, der von der APA treuhänderisch verwaltet wird. Welches Ziel wird mit dem SD-Rappen verfolgt? 

Der SD-Rappen soll Projekte, Vorhaben und Ideen rund um die ärztliche Arzneimittelabgabe unterstützen. Diese soll weiter gestärkt und gefestigt werden, so dass die Ärzteschaft auch in Zukunft noch Arzneimittel in der Praxis abgeben darf. 

Die Fondsmittel wurden auch im Rahmen der Verhandlungen rund um die Anpassung des Vertriebsanteils eingesetzt. Inwiefern konnten Sie dabei die Interessen der SD-Ärztinnen und -Ärzte vertreten bzw. sich positiv in die Verhandlungen einbringen? 

Der SD-Rappen half mit, dass wir seitens der APA die nötigen Verhandlungs- und Begleitmassnahmen zeitgerecht treffen konnten. Es war die richtige Unterstützung zur richtigen Zeit für das richtige Projekt.