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APN unterhält sich mit Patient APN unterhält sich mit Patient APN unterhält sich mit Patient

APN – eine neue Ära für die Arztpraxis?

Aktuelles 02. September 2024

In einer Zeit, in der das Gesundheitssystem mit Herausforderungen wie Ärztemangel und steigenden Patientenbedürfnissen konfrontiert ist, treten Advanced Practice Nurses (APN) als mögliche Lösung in den Vordergrund. Trotz der fehlenden gesetzlichen Anerkennung erweisen sie sich als entscheidende Ergänzung zur traditionellen medizinischen Versorgung.

 

Die Rolle der Advanced Practice Nurses gewinnt in der Schweiz an Bedeutung. Als hochqualifizierte Pflegefachkräfte, die an der Schnittstelle zwischen Pflege und ärztlicher Versorgung agieren, leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsversorgung. Durch die Übernahme spezifischer, erweiterter Aufgabenbereiche tragen APNs dazu bei, die Effizienz und Qualität der Patientenversorgung zu steigern, ohne dabei die Rolle des Arztes zu ersetzen. Sie stellen eine wertvolle Ergänzung des medizinischen Teams dar und unterstützen Ärztinnen und Ärzte effektiv im Tagesgeschäft.

Der Ursprung des APN-Berufs lässt sich auf das Bestreben zurückführen, den steigenden Bedarf an gesundheitlicher Versorgung zu decken und die Zugänglichkeit zur Gesundheitsversorgung zu verbessern.

«Grundsätzlich arbeiten wir sehr selbständig», sagt Isabelle Mathier, APN in der Medbase-Praxis in Winterthur. «Patientinnen und Patienten müssen bei einem Hausarzt angebunden sein, wir APN haben jedoch die Fallführung – zum Beispiel bei Personen mit einer Diabetes- oder Herz-Kreislauf-Erkrankung», erklärt sie. 

«Wir koordinieren alles, machen Bewegungs- oder Ernährungsberatung.» Die Grenzen zu den ärztlichen Kompetenzen sind indes klar festgelegt: Das Verschreiben von Medikamenten, Einleiten komplexer diagnostischer Verfahren oder Veranlassen von Spitaleinweisungen darf nur in Rücksprache mit dem Hausarzt erfolgen. 

Ganzheitliches Bild

«Kontinuität in der Betreuung ist für Patientinnen und Patienten von grosser Bedeutung», betont Corinne Steinbrüchel. Als APN kann sie den betreuten Personen diese Stetigkeit bieten. Zudem sei es entscheidend, das Umfeld der Patientinnen oder Patienten ganzheitlich zu betrachten. Steinbrüchel achtet darauf, ob eine Person neben ihrer bekannten Erkrankung vielleicht auch kognitiv eingeschränkt oder unzureichend ernährt ist, oder ob ihre Angehörigen überlastet sind. «Ich kann ein umfassenderes Bild vom Zustand einer Patientin oder eines Patienten gewinnen, als dies ein Arzt in einer 15-minütigen Sprechstunde vermag», meint Steinbrüchel, die seit mehr als einem Jahrzehnt in der medix-Praxis Zürich-Altstetten tätig ist.

In der Schweiz stellt die fehlende gesetzliche Anerkennung eine Herausforderung dar, da APN-Leistungen nicht über das TARMED-System abgerechnet werden können. Viele Hausarztpraxen würden gerne APN beschäftigen, scheuen aber die finanzielle Belastung. Dabei könnten APN wesentlich zur Entlastung von Hausärztinnen und -ärzten beitragen, gerade in ländlichen und abgelegenen Regionen, wo der Ärztemangel besonders spürbar ist.

Dem Schweizer Gesundheitssystem stehen anspruchsvolle Zeiten bevor. Mehr als die Hälfte der Hausärztinnen und -ärzte wird in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. In dieser kritischen Phase könnten APN eine Schlüsselrolle einnehmen, um Engpässe zu verringern und eine fortlaufende, hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Durch ihre Fähigkeit, eigenständige klinische Bewertungen vorzunehmen, Behandlungspläne zu entwickeln und Patientinnen und Patienten umfassend zu betreuen, werden sie zu einer unverzichtbaren Ressource.

Pflegefachkräfte im Beruf halten

Voraussetzung für das Studium ist eine abgeschlossene Berufsausbildung im Pflegebereich, üblicherweise als diplomierte Pflegefachperson. Darüber hinaus ist für den Titel APN ein Masterabschluss in Pflegewissenschaft notwendig.
 

Im Zuge der Pandemie haben viele Pflegefachpersonen ihren Beruf aufgegeben. Die Fortbildung zur Advanced Practice Nurse bietet ein attraktives Modell, um kompetente Leute im Beruf zu halten. «Könnte ich heute nicht als APN arbeiten, hätte ich dem Gesundheitswesen den Rücken zugekehrt», sagt die ehemals als Pflegefachfrau tätige Isabelle Mathier. «Ich bin heute glücklicher und zufriedener.» Sie schätze es, dass ihre Kompetenzen anerkannt würden und sie eigenverantwortlich in ihrem Fachgebiet arbeiten könne.

International ist die Anerkennung des Berufs weiter fortgeschritten als in der Schweiz. In den USA zum Beispiel haben APN das Recht, eigene Praxen zu leiten und Hausärzte zu beschäftigen. Diese Entwicklung verdeutlicht das Potenzial von APN, die Gesundheitsversorgung nicht nur zu ergänzen, sondern grundlegend zu reformieren.

APN betrachten sich nicht als Konkurrenz zu Ärztinnen und Ärzten. «Ich bin keine Ärztin, und das möchte ich auch nicht sein», stellt Steinbrüchel klar, obschon sie gewisse ärztliche Tätigkeiten ausführe. «Ich bin und bleibe eine Pflegefachperson, die einfach neben dem pflegerischen auch den ärztlichen Blickwinkel hat.» Die vertiefte pflegerische Expertise ist denn auch ein grosser Vorteil, den APN in ihrer Arbeit bieten können. Auch die Hemmschwelle für MPA, eine APN etwas zu fragen, sei mitunter etwas tiefer, meint Isabelle Mathier. «Wir haben eine Brückenbauerfunktion zwischen MPA und Ärzten».

Die Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten erleben sowohl Mathier als auch Steinbrüchel als wohlwollend, effizient und bereichernd. Vorbehalte gegenüber der Rolle von APN kamen den beiden bislang kaum zu Ohren. «Letztlich sitzen wir ja alle im gleichen Boot», meint Isabelle Mathier, «es gibt genug Arbeit für alle.»